Page 9 - Lebensraum-2019
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Mittwoch, 13. November 2019 Lebensraum Zurzibiet 9
schlucht. Den Bach unten hört man rau-
schen. Seit es kräftig geregnet hat, führt er
zünftig Wasser. Auf der Baldingerstras-
se, die auf der anderen Talseite verläuft,
fährt das eine oder andere Auto, und
durch das immer lichter werdende Laub,
zeichnen sich über der Strasse einige Bal-
dinger Häuser ab.
Klein-Lourdes
Schliesslich kommt die Mariengrotte in
Sicht. «Grotte» ist allerdings eine etwas
irreführende Bezeichnung. Mit einer na-
türlichen Grotte, einer Art offenen Höhle
also, hat die Böbiker Mariengrotte nämlich ne Kapelle ist mit frischen Blumen deko- der Baldinger Pfarrkir-
nichts zu tun. Sie ist eine Kapelle, und zwar riert. Dahlien sind es, und wahrscheinlich che zu vernehmen. Es ist
eine ganz kleine, eigentlich eher schon ein stammen sie aus einem nahe gelegenen Sonntagnachmittag, der
Bildstöckli. Die kleine Kapelle birgt eine Garten und werden da vielleicht haupt- 27. Oktober. Die Glo-
Statue der Muttergottes und eine Statue sächlich für die Dekoration der Kapelle cken rufen zur Totenge-
der Bernadette Soubirous. Bernadette ist angepflanzt und gepflegt. denkfeier und nach etwa
das Hirtenmädchen, dem die Muttergot- Links und rechts der Kapelle erheben zehn Minuten verstum-
tes gleich mehrmals erschienen sein soll. sich zwei Linden. Es sind mächtige, alte men sie wieder. Die To-
Der Ort des Geschehens war eine Grot- Bäume. Gut möglich, dass sie schon 1909 tengedenkfeier ist wohl der Grund dafür,
te in der Nähe der kleinen Stadt Lourdes, gepflanzt wurden, bei der Fertigstellung dass die Grotte diesen Sonntagnachmittag
am Fusse der Pyrenäen, und man schrieb der Kapelle. Wenn ja, dann hätten sie je- von niemandem aufgesucht wird. Die Bö-
das Jahr 1858. nes geheimnisvolle Fräulein Widmer, des- biker Katholiken sind jetzt in der Kirche.
Die Statuen der Böbiker Lourdesgrot- sen Vornamen keiner mehr kennt, noch ge- Bei der Grotte betet niemand, nur die Mut-
te sind keine Kunstwerke, sondern wur- sehen und könnten von ihr erzählen. tergottes selber hält hier ihre Hände gefal-
den in Massenproduktion hergestellt. Es tet, sonst keiner. Allerdings aber – unten in
gibt dieselben Darstellungen zu Tausen- Eine Bronzetafel der Schlucht rauscht der Chrüzlibach und
den und in allen Grössen. Sie spiegeln die der Wald trägt prächtig herbstliche Far-
Volksfrömmigkeit des frühen 20. Jahr- Doch halt: Ganz vergessen ging Fräu- ben. Wenn ein Windzug durch die Bäume
hunderts wider, und treffen das religiöse lein Widmer nicht. An der Kapelle erin- streift, dann wirbeln die bunten Blätter zu
Empfinden der meisten modernen Men- nert ein Bronzetäfelchen an sie. Darauf Boden, wie wenn sie tanzen würden, und
schen kaum mehr. ist zu lesen: «Mariengrotte Breite – Lo- immer mal wieder sind Vögel zu hören.
chacker, gewidmet von Fräulein Widmer Alles Gebet vielleicht, Lobgebet? «Ohne
Uralte Linden aus Schneisingen». Wort, ohne Laut singt das Universum,
Gott, für Dich», heisst es doch in einem
Trotzdem aber wird die Böbiker Grot- modernen Kirchenlied. Ja, alles Lobgebet,
te besucht. Zu Füssen der Muttergottes Alles Lobgebet und die Böbiker Grotte steht wirklich auf
brennt nämlich eine Kerze, und die klei- Kurz vor 14 Uhr sind dann die Glocken heiligem Grund.
Umgeben vom Kreislauf der Natur, Volksfrömmigkeit und brennende Kerzen: Die Mariengrotte ist ein heiliger Ort.