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Mittwoch, 11. November 2020 Lebensraum Zurzibiet 17
Bomber greifen an – in Deckung! entschärft und geborgen werden. 19. Fe-
bruar 1945: Bei einem Angriff, der zwei-
fellos den Waldshuter Eisenbahneinrich-
tungen gilt, fallen abermals Bomben auf
KOBLENZ (fi) – Ein Querschnitt durch Die Produktion der Waldshuter Lonza Schweizer Gebiet – diesmal in den Ful-
das Buch «Bombenangriff auf die Brü- war für Deutschland kriegswichtig. Der ler Jüppen.
cken von Koblenz» von Kuno Gross und hergestellte Stickstoff wurde für Spreng-
Rudolf Meier. stoffe gebraucht. Schleifmittel (Elektroko-
rund, Siliziumkarbid) waren für die Waf-
Dramatische Tage fen- und Munitionsindustrie wie auch für
die Flugzeugherstellung von grosser Be-
«Ich nehme die erste Staffel in den deutung. 1941 gingen 83 Prozent der Pro-
Feldstecher, denke, nun wird unsere Flab duktion aus der Lonza in die deutsche
am Achenberg feuern, da kippt schon das Rüstung und 1942 kamen etwa sieben
erste Flugzeug ab. Ich sehe den Rumpf Prozent des in Deutschland produzierten Das Flugzeug des Typs «Thunderbolt» mit
nur noch im Querschnitt, die Flügel als synthetischen Stickstoffs aus dem Werk bei angehängter Bombe.
Striche, denke, genau in der Brückenach- Waldshut. Die Zahl der Beschäftigten stieg
se und schreie gegen die Eisenbahnbrü- während des Kriegs von 965 auf über 1500.
cke: in Deckung!» Mit dieser Aussage von Mit fortschreitender Kriegsdauer wurden 24. April 1945: Nach einer langen Zeit
Leutnant Wächtler wird das Buch textlich die deutschen Arbeiter durch Italiener, häufiger Luftalarme geht es besonders
und mit einem Bombenfragment bildlich Serben und Kroaten ersetzt. hektisch zu. Nach zahlreichen Über-
eingeleitet. So viel Dramatik gibt es nicht Die Lage für Deutschland war zu Jah- flügen von Bombern wird der Bahnhof
in einem Film – sie war reinste Koblenzer resbeginn 1945 hoffnungslos. Es fehlte Waldshut von acht Maschinen angegrif-
Wirklichkeit im Februar 1945. überall an Truppen, Waffen und Mate- fen. Zehn Einschläge werden gezählt
rial. An der Ostfront standen die Deut- und zehn Menschen verlieren ihr Leben.
Im Vorfeld der denkwürdigen Tage schen einer teilweise zwanzigfachen Tags darauf, am 25. April, ist der Krieg
Übermacht gegenüber und die alliierte zu Ende.
1859 wurde die Eisenbahnbrücke von Ko- Bomberoffensive zerstörte nicht nur die
blenz nach Waldshut in Betrieb genom- deutschen Städte, sondern vor allem auch In den Keller oder in den Tunnel
men.1892 fuhren die ersten Züge über die Treibstoffproduktion. In der Luft
die neue Eisenbahnbrücke nach Felsen- hatten die Gegner Deutschlands bereits Die beiden Autoren haben herausgefun-
au. 1931 beschloss der Aargauer Grosse seit dem Frühsommer 1944 die absolute den, dass französische und nicht – wie
Rat den Bau der Strassenbrücke nach Überlegenheit. In Koblenz haben eigent- ursprünglich angenommen – amerika-
Waldshut und bereits am 27. Novem- lich Soldaten des Grenzfüsilierbataillons nische Flieger die Bomben abgeworfen
ber 1932 konnte diese eingeweiht wer- 252 (Gz Füs Bat 252) Dienst geleistet, im haben. Am 16. Februar war es also die
den. Nach einem weiteren Grossratsbe- Rahmen einer Ablösung war jedoch die GC III/3 «Ardennes» mit acht Flugzeu-
schluss von 1934 wurde eine Strassenbrü- Kompanie I/253 (KP I/253) im Einsatz gen (die Anzahl entspricht den Schwei-
cke über die Aare nach Felsenau gebaut als die Fliegerangriffe stattfanden. Die- zer Berichten) und am 19. Februar wahr-
und im Juni 1936 fertiggestellt. Koblenz se Mannen waren eigentlich für den Be- scheinlich die GC I/4 «Navarre» oder die
war nun «Vierbrückendorf» und wichti- reich «ennet» der Aare im Kirchspiel zu- GC I/5 «Champagne», die den Bahnhof
ger Verkehrsknotenpunkt. Die Verkehrs- ständig. von Waldshut angriffen und dabei zwei
verbindungen bereiteten erst Freude, bald Bomben auf Full abwarfen.
aber auch Sorgen. Die Bombenangriffe Wer die Augenzeugen-Berichte liest,
erschrickt über den geringen Schutz der
15. Februar 1945: In Waldshut ist es ru- Bevölkerung. Wo unter dem Haus ein
hig. Über dem Bahnhof Koblenz krei- robuster Gewölbekeller war, wurde die-
sen Flugzeuge. Aus Bordwaffen wird ser bei Alarm aufgesucht. Für viele Kob-
geschossen. Wegen Verletzungen durch lenzer bot der Eisenbahntunnel Schutz,
Splitter wird eine Frau ins Spital Leug- doch war dieser nicht so leicht und in
gern gebracht. Die Schweizer Flab wird kürzester Zeit zu erreichen. Dass es kei-
aktiv. ne Toten und nur wenige Verletzte gab,
16. Februar 1945: Zwei Flugzeuge klä- war ein aus serordentlicher Glücksfall.
ren im Bereich Koblenz-Waldshut auf. Nicht auszudenken ist, dass die Scheu-
Acht Maschinen P-47 «Thunderbolt» ne im Dorf, in der aller Sprengstoff und
dringen in den Schweizer Luftraum ein, die ganze Munition gelagert war, einen
wenden über dem Achenberg und greifen Volltreffer hätte abbekommen können!
die Brücken mit Bomben und Bordwaf-
fen an. Sie verfehlen aber ihre Ziele. Ge-
troffen werden Armeebaracken, wo vier
Jasser und ein WC-Gänger unbeschadet
davonkommen. Ein grosser Bombenkra- Noch erhältlich
ter und Gebäudeschäden zeugen vom An-
griff. Augenzeugen schildern den Ablauf, Das Buch zu den Koblenzer Ereig-
der hier kurz und nüchtern dargestellt ist, nissen ist noch nicht vergriffen. Die
viel farbiger. Zu erwähnen ist, dass auch Buch-Daten: Kuno Gross und Ru-
im Giriz Bomben einschlagen. Einige dolf Meier: «Bombenangriff auf
der 500 Pfund-Bomben amerikanischer die Koblenzer Brücken 16. Februar
Meldung der Grenzverletzung vom 16. Fe- Herkunft explodieren, andere bleiben 1945», ISBN 978-3-7412-6154-1.
bruar – eines der vielen Dokumente. als Blindgänger stecken. Diese müssen