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Lebensraum Zurzibiet «Die Botschaft» Mittwoch, 31. Oktober 2018 37
Gegen Ende des Jahrhunderts
nahm die Verschuldung astrono-
mische Ausmasse an. Zwar erhielt
die Zementfabrik weiterhin Kredi-
te, doch 1902 führte kein Weg mehr
am Konkurs vorbei. Gekauft wurde
sie damals von den Jura-Cement-Fa-
briken – einer Hauptkonkurrentin –
die die Produktion jedoch einstell-
ten. 1904 wiederum veräusserten
diese das gesamte Areal den Gebrü-
dern Bertschinger aus Wallisellen.
Das Gelände wurde mit einem Ser-
vitut belegt, das die Herstellung von
Zement, Kalk oder anderen Binde-
mitteln verbietet. Damit war ein
grosser Konkurrent ausgeschaltet.
Diese Vereinbarung ist noch heute
als Dienstbarkeit auf den Grundstü-
cken eingetragen.
Erhaltene Gemäuer
1909 wurden dann fast alle Gebäu-
de der Zementfabrik durch eine
Sappeurkompanie – Soldaten ei-
ner technischen Truppe – während
Seilbahnstation in Niederweningen. Hier trafen die Kübel, die bis zu 300 Kilogramm Gewicht tragen konnten, einer Militärübung gesprengt. Das
mit dem Zement ein, der dann wiederum auf die Bahnwagen verladen wurde. Verwaltungsgebäude am unteren
Ende des Areals blieb allerdings als
einziges erhalten und wird heute als
von Fledermäusen zum Über- liener – die in den Lägernbrüchen tä- diesem Haus besuchten die Schule, Wohnhaus genutzt. Teile der Mate-
wintern. Im Heidewiibliloch wurde tig waren. Beim Umbau des ehema- damals lebte man aber auf viel klei- rialseilbahn kaufte Gottlieb Spühler
damals Kalkstein abgebaut, um die ligen Gasthauses Eintracht tauchten nerem Raum zusammen als heute. aus Rekingen und verwendete sie
Höhle rankt sich heute eine Sage. alte Dokumente auf, unter anderen Die Winter waren hart, Lebensmittel in seiner Zementfabrik. Drei Säulen
Eine originale Lore steht mittler- Arbeiterlisten. Darin wurden Be- knapp. Doch man hielt zusammen, stehen noch in der Landschaft und
weile inmitten des Dorfes im Krei- merkungen zu Kündigungsgründen musizierte und «chrampfte». Acht erinnern an den «missglückten, aber
sel Niedermatt. Gestaltet hat ihn der aufgeführt – Streik war einer davon. Wohnungen gibt es im 1897 erbau- historisch denkwürdigen Industria-
ortsansässige Künstler Kuno Perler. In der Sparte «Datum des Todes» ten Haus, die Kosten für den Bau be- lisierungsversuch». So wird es in der
gab es einige Einträge. Unfälle mit liefen sich auf 24 699 Franken. 1990 erschienenen Dorfchronik be-
«D’ Windleburg» Strom geschahen damals vermehrt. schrieben.
Nach und nach entstanden zwei Re- Unter anderen wurden 1897 zwei Harter Konkurrenzkampf Die Denkmalpflege des Kan-
staurants für die Belegschaft und Hilfsarbeiter getötet, die beim An- Doch der Markt rund um Bauma- tons schreibt dem ehemaligen Ver-
viele Bauern rüsteten ihre Höfe so triebsmotor der Seilbahn werkelten, terialien war ein stark umkämpf- waltungsgebäude einen erheblichen
um, dass sie den Fabrikarbeitern 1898 starb ein Steinbrecher durch ter. In einigen Quellen ist die Rede lokal- und gewerbegeschichtlichen
Zimmer untervermieten und sich Berühren der elektrischen Leitung. davon, dass Kampfmassnahmen Zeugenwert zu. Neben dem Ar-
so einen Zustupf verdienen konn- Bis in die Gegenwart erhalten des Zementkartells die Fabrik in beiterwohnhaus und dem ehema-
ten. Rund 400 Männer waren zu blieb das grosse Arbeiterwohnhaus Oberehrendingen schliesslich in ligen Bürotrakt erinnern noch die
Höchstzeiten angestellt. Anfangs an der Gipsstrasse 44 und auch heu- den Ruin trieben. Doch die enor- ehemaligen Gaststätten Eintracht
stammten viele aus Ehrendingen, te wird es in der Bevölkerung noch me Grösse der Anlage, die mangel- und Frohsinn, welche an der Gips-
Niederweningen und Lengnau. Mit «Windleburg» genannt – in Anleh- hafte Infrastruktur – vor allem auf- strasse 53 und 60 liegen und mitt-
der Zeit kamen immer mehr Gast- nung an die vielen Kinderwindeln, grund der abgelegenen Lage – und lerweile ebenfalls als Wohnhäuser
arbeiter hinzu und so waren es auch die jeweils zum Trocknen vor dem die notwendigen Investitionen tru- genutzt werden, an die Zeit der Ze-
250 Ausländer – viele von ihnen Ita- Haus hingen. Bis zu 44 Kinder aus gen ebenso dazu bei. mentfabrik.
Den Untergang besiegelte die Sprengung im Jahr 1909. Eine alte Zementrechnung, die bei einem Umbau 1980 gefunden wurde.