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Mittwoch, 13. November 2019 Lebensraum Zurzibiet 19
Die erste Wörterliste
mit Zurzacher Mundart
Franz Michael Maria Blun- Nur dank des Idiotikons wissen
schi war ab 1792 Chorherr wir ausserdem, dass es auch in-
des Stiftkapitels Zur zach. nerhalb eines relativ kleinen Ge-
biets, wie dem Zurzibiet, beachtli-
Kurz vor der Jahrhundert- che sprachliche Unterschiede gab
wende wurde er zum Kus- (und gibt) in der Mundart. In den
seltensten Fällen hält sich diese
tos gewählt, dem Stellver- Mundart an heutige Kantons- und
treter des Propstes. Was Landesgrenzen. So wird respekti-
wenig bekannt ist: Blunschi ve wurde ein zweihenkliger Korb
im Kirchspiel, ennet der Aare,
war auch Wörtersammler als «Schìner» bezeichnet – und
und hat rund 150 Mundart- das bis weit hinauf ins süddeut-
begriffe aus Zur zach und sche Gebiet – während im rest-
lichen Gebiet des Zurzibiets
Umgebung zu Papier ge- von «Chùcher» und in Rich-
bracht. Sein Quartheft von tung Baden von «Zäine» die
Rede ist und war.
1814/17 darf als allerers-
tes Mundart-Wörterbuch
aus dem Aargau bezeich- Ein Auszug aus der re-
konstruierten Wörterlis-
net werden – bleibt aber bis te mit Wörtern aus Zur-
heute verschollen. zach und Umgebung, die
1814/17 durch Franz Mi-
chael Maria Blunschi no-
BAD ZURZACH (tf) – Idiotikon – so nennt tiert worden waren.
sich das Wörterbuch der schweizerdeut-
schen Sprache. Es liegt heute in digitaler
und gedruckter Form vor und ist ein Nach-
schlagewerk mit nicht weniger als 160 000 Die ersten
Wortartikeln. Es dokumentiert den ale- Wörtersammler
mannischen Wortschatz in der Schweiz vom Der erste Idiotikon-
Spätmittelalter bis ins 21. Jahrhundert und Band erschien, wie
gilt heute als grösstes Regionalwörterbuch gesagt, im Jahr 1881.
im deutschsprachigen Raum. Seit 1881 wird Gegründet wurde das
das Schweizerische Idiotikon in Buchform heutige Idiotikon aber schon
herausgegeben, im Internet ist es seit bald 1862, durch die beiden Zürcher Sprach-
zehn Jahren auch über www.idiotikon.ch wissenschaftler Friedrich Staub und Ludwig
zugänglich. In gedruckter Form sind bis- Tobler. Vor 157 Jahren begannen sie damit,
lang 17 Bände des Werks erschienen, ver- schweizerischen Mundarten und auch die Material zu sammeln und eine Redaktion
mutlich im Jahre 2025 wird das Wörterbuch ältere Sprache in der deutschen Schweiz aufzubauen. Friedrich Staub erliess im Juni
fertiggestellt sein. Offiziell ist das Schwei- und deren Veränderungen hält sonst kaum 1862 einen «Aufruf betreffend Sammlung
zerische Idiotikon heute ein Unternehmen beschriebene und heute oft verschwunde- eines Schweizerdeutschen Wörterbuchs».
der Schweizerischen Akademie der Geis- ne Eigenschaften der sprachlichen, geisti- Zahlreiche «Wörtersammler» meldeten sich
tes- und Sozialwissenschaften (SAGW), gen und materiellen Kultur (vom 13. ins daraufhin und begannen für das in Entste-
das Jahresbudget beläuft sich auf rund 21. Jahrhundert) fest. hung begriffene Mundart-Wörterbuch Listen
1,6 Millionen Franken. Aktuell ist ein Team Nur dank eines Idiotikons wissen wir mit Wörtern zusammenzutragen.
von etwa 15 Personen, davon sind sechs aus- heute, dass es im Kanton Aargau – dialek- Wer zurückblickt, stellt fest, dass das
gebildete SprachwissenschaftlerInnen oder tologisch gesehen ein Pufferstaat zwischen Idiotikon im Laufe der Jahrzehnte allein
LexikographInnen, für das Idiotikon tätig. den ausgeprägten Mundartregionen Basel, im Kanton Aargau auf eine Gruppe von
Das Büro befindet sich in Zürich. Bern, Zürich, Innerschweiz – vier verschie- rund 60 namentlich erfassten Sammlern
dene Ausdrücke für das Bonbon gibt. In zählen konnte – über die ganze Schweiz
Mundartformen in der Übersicht der gegen Basel zugewandten Region des verteilt waren es um die 400 Wörtersamm-
Kantons wird ein Bonbon als «Guuts(l)i ler, die im Einsatz standen. Die meisten
Die Herausgabe dieses Mundart-Wör- / Chröömli» bezeichnet, im Zürich zuge- der Sammler waren Lehrer, Studenten,
terbuchs wird durch den Bund und die wandten Gebiet heisst es dagegen «Zältli». Geistliche oder Kaufleute und Fabrikan-
Deutschschweizer Kantone subventioniert Im nach Bern ausgerichteten Kantonsteil ten. Zu den bekanntesten Wörtersamm-
– und das nicht ohne Grund. Immerhin spricht man von «Täfeli», wenn man ein lern aus dem Aargau gehört sicher Ernst
geht es um den Erhalt von Kulturgut, das Bonbon meint, und in der nach Luzern aus- Ludwig Rochholz (1809-1892), ein Volks-
sonst für immer verloren zu gehen droht. gerichteten Region wird es kurzerhand als kundler süddeutscher Abstammung, der
Das Idiotikon dokumentiert alle deutsch- «Zückerli» bezeichnet. auch zahlreiche Schweizer