Page 25 - Lebensraum-2020
P. 25

Mittwoch, 11. November 2020                 Lebensraum Zurzibiet                                                25



             Bei meinem Paddel sind die Blätter, wie   Der kurze Ritt über die Laufen-Schwelle
           bei den meisten Standardpaddels heute,   Was mich überrascht: Obwohl die Strecke
           asymmetrisch und um 45 Grad verdreht zu-  Bad Zurzach Regibad – Koblenz Fähranle-
           einander angeordnet. Das erlaubt eine op-  gestelle kurz erscheint, bleibt im Kajak jede
           timale Steuerung des Boots. Und steuern   Menge Zeit, um zu geniessen und zu erleben.
           ist wichtig, das habe ich mir gemerkt. «Im   Als wir das «Inseli» passieren in der Barz,
           Kajak kann man Kapitän sein und selber   fordert uns Nik Ritter auf, gemeinsam einen
           steuern oder «blinder Passagier» und hof-  Stern zu bilden. Jeder hält auf beiden Seiten
           fen, dass die Strömung gnädig ist», sagen die   das Kajak des anderen fest – und jetzt darf
           Experten. Ritter und seine Begleiter verra-  einer nach dem anderen aus seinem Kajak
           ten mir sogleich: Für ein Geradeausfahren   steigen, einmal «im Trockenen» eine Runde
           mit dem Kajak die Paddel möglichst nah am   über die zusammengehaltenen Kajaks gehen   Der Kanuclub Zurzach hat rund 30 Mitglie-
           Boot einsetzen und jeweils mit der unteren   und sich dann wieder ins Kajak setzen. Ich   der, dazu gehören auch Jugendliche im
           Hand nach hinten ziehen.  Je weiter entfernt   verrate jetzt nicht, bei wem das noch nicht   Teenager-Alter.
           vom Kajak ich das Paddel einsetze, desto   so ganz einwandfrei geklappt hat. Ein ein-
           stärker ist der Drehimpuls. Dann macht das   maliges Erlebnis ist es trotzdem!
           Boot eine Kurve.                         Das Gleiche gilt für die Fahrt den Laufen
                                                   hinab. Weil ich in historischen Berichten viel
           Der Heilige Gral – das Kehrwasser       von diesem Laufen und seinen Schwierigkei-
                                                   ten, die die Boote damit hatten, las, meinte
           Ich habe mich inzwischen etwas angefreun-  ich immer, dass der Laufen eine recht grosse
           det mit der wackligen «Unterlage» und wer-  Herausforderung sei. Die Kanuten korrigie-
           de mutiger. Der Rhein zieht stark, aber so-  ren mein Bild. Zwar sei da eine etwas rup-
           lange ich mit dem Fluss paddle, ist es eine   pige Welle zu nehmen, die sich am Laufen
           gemütliche Angelegenheit. Ich kann es ge-  bilde, ansonsten sei der Laufen wildwasser-
           niessen. Dann aber sehe ich in einiger Ent-  technisch und für erfahrene Kanuten relativ
           fernung die Pfeiler der Rheinbrücke Bad   unspektakulär. Die unter der Wasserober-
           Zurzach–Rheinheim. Die neuen Kanu-      fläche liegenden Felsbänke seien für die Ka-
           freunde haben mich vorgewarnt, hier war-  jaks keine Gefahr. Ritter klärt mich auf, dass
           tet die Herausforderung «Kehrwasser»,   man im Kanusport die Kategorien 0 bis 6 un-
           hier kann ich üben, wie ich von einem zie-  terscheide, 0 entspreche einem ruhigen See,   Bereit für die Fahrt – auf der Schulter wird
           henden Fluss in Gewässer mit Gegenströ-  6 entspreche dem Rheinfall. Ein fliessendes   das Kajak zur Einstiegsstelle beim Regibad
           mung wechsle und von dort wieder zurück   Gewässer wie der Rhein entspreche einer 1,   getragen.
           in den ziehenden Fluss gelange.         wenn es viele Wirbel habe, könne auch ein-
             Da ich weiss, dass es nachher den Laufen   mal von einer 2 die Rede sein.
           hinabgeht, meine ich doch, dass ich mich   Nach der Durchfahrt des Laufens muss
           am Kehrwasser versuchen soll. Man möchte   ich Ritter Recht geben. Ausser man geht
           ja vorbereitet sein. Bereits beim ersten Ver-  explizit an der Welle, die im Laufen bricht,
           such spüre ich, wo die Tücken liegen. Ich   üben, ist man schneller durch als erwartet.
           fahre mit spitzem Winkel aufs Kehrwas-  Ein gutes Gefühl ist es gleichwohl. «Yes!»,
           ser zu, wende dann den Blick flussaufwärts   ich bin den Laufen hinabgefahren mit einem
           und liege, wie beim Velofahren, in die Kur-  Kajak. Challenge gemeistert, sage ich mir
           ve, damit das Wasser unter das Boot und   selbst. Mit diesem Adrenalinstoss im Blut,
           nicht über das Boot fliesst. Als es mich rein-  bin ich, bei der Fährstelle Koblenz angekom-
           zieht, werde ich allerdings unsicher, versu-  men, auch bereit für das Üben der Eskimo-
           che durch Gewichtsverlagerung in die an-  Rolle. Ich schaffe sie dann zwar noch nicht
           dere Richtung auszugleichen, dann ist es   ganz, darf aber, so sagen es die Experten, zu-  Nach der Fahrt den Laufen hinab werden
           passiert. Das Kajak kippt. Ich «stehe» kopf-  versichtlich sein. Meine Lust am Kanusport   die Kajaks in Koblenz wieder auf den An-
           unter im Wasser. Könnte ich die «Eskimo»-  ist jedenfalls geweckt. «Ich will mehr!»   hänger geladen.
           Rolle schon, hätte ich nun die Möglichkeit
           mich mit einer korrekt ausgeführten Pad-
           delschlagbewegung wieder selbst aufzu-
           richten. Ich beherrsche die Rolle aber noch
           nicht, so bleibt mir nur der Ausstieg – das
           Kajak füllt sich mit Wasser.
             Die Freunde des Kanuclubs unterstüt-
           zen mich, entleeren das Kajak während
           ich beim Flusspfeiler warte. Nach etwa
           fünf Minuten gehts weiter. Ich übe die Ein-
           fahrt ins Kehrwasser am gleichen Flusspfei-
           ler noch einmal, diesmal klappts, danach
           paddeln wir weiter flussabwärts. An einer
           Bootlandestelle auf deutscher Seite, wo es
           ebenfalls ein Kehrwasser hat, kann ich noch
           einmal üben. Der Vorteil ist hier, das Was-
           ser ist seicht, ich kann, selbst wenn es mich
           kippt, das Kajak problemlos an Land zie-
           hen, entleeren und den nächsten Versuch
           wagen. Das ist die nächste Lektion: Rich-
           tige Technik und viel Übung machen auch   Ein Erlebnis: Wenn Kanuten auf dem Wasser einen «Stern» bilden und jeder einmal eine
           beim Kajakfahren den Meister.           Runde «gehen» darf.
   20   21   22   23   24   25   26   27   28   29   30